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Interview mit Prof. Thomas Auer: Wie Climate Positive Engineering das Bauwesen verändert

Das Zertifikatsprogramm „Climate Positive Engineering“ startet im Oktober 2021 erstmals an der Technischen Universität München. Prof. Thomas Auer hat die Professur für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen inne. Er und sein Team haben den Weiterbildungskurs federführend entwickelt. Im Interview erklärt er, wie der Ansatz des klimagerechten Bauens die Planungsprozesse grundlegend verändern wird und welche Rolle neueste Technologien dabei spielen.

 

Die Dekarbonisierung des Gebäudesektors ist eine große Aufgabe – und sicherlich auch Herausforderung – für öffentliche Institutionen, aber auch Unternehmen. Wie kann diese bewältigt werden?

Für eine völlige Dekarbonisierung des Gebäudesektors gibt es sicherlich nicht die eine allumfassende Lösung und auch keine einfachen Antworten. Vielmehr handelt es sich um ein komplexes System. Dabei stellt der Gebäudebestand die größte Herausforderung dar. Für eine Transformation bedarf es einer ganzen Reihe von Maßnahmen: Die vorliegende Komplexität erfordert seitens der Planer*innen – Architekt*innen und Ingenieur*innen – fundiertes Wissen. Eine Transformation wird zwangsläufig die gebaute Umwelt verändern; daher ist für eine erfolgreiche Integration möglicher Maßnahmen ein baukulturelles Verständnis essentiell.

Wie kann das neue Zertifikatsprogramm „Climate Positive Engineering“ dabei unterstützen?

Das Weiterbildungsprogramm vermittelt einerseits den Stand der Technik und der Wissenschaft hinsichtlich möglicher Maßnahmen für eine effektive Reduktion der CO2-Emissionen von Gebäuden. Die Ansatzpunkte sind vielfältig: Neben einem Grundverständnis von Komfort und bauphysikalischen Aspekten werden Versorgungsvarianten betrachtet. Ein Fokus liegt auf der CO2-Bilanzierung. Andererseits vermitteln wir in dem Programm die Ambivalenz hinsichtlich baukultureller Aspekte.

Die Verknüpfung von Nutzerkomfort und Engineering, eingebettet in eine Transformation, die baukulturelle Aspekte in die Betrachtung einbezieht – das ist das Besondere an unserem Kurs.

Bild: Alnatura Campus/PK Odessa, Lanz/Schels

Welche Aspekte umfasst klimagerechtes Bauen aus Ihrer Sicht?

Beim klimagerechten Bauen, also Climate Positive Engineering, bilden lokale Potentiale die Basis für einen passiven Gebäudebetrieb, maschinelle Systeme sehe ich eher als unterstützend. Diese Art der Betrachtung verändert die Methodik der Planung. Bei der traditionellen TGA-Planung bilden die Extreme – Winter und Sommer – die Planungsgrundlage, während beim klimagerechten Bauen plötzlich die Zeit zwischen den Extremen die größere Relevanz hat – durch den Fokus auf Aufenthaltsqualität und Energieverbrauch.

Welche Rolle spielen technische Anwendungen und Tools beim Climate Positive Engineering?

Ein technisches Grundverständnis bildet die Grundlage für eine Dekarbonisierung des Gebäudesektors. Daher ist sowohl eine Betrachtung technischer Systeme als auch Simulationswerkzeuge elementar. Dabei geht es nicht um einen Selbstzweck; vielmehr bildet solch ein Grundverständnis das Fundament für eine Entwicklung konzeptioneller Strategien.

Was ist Ihre Vision für die Baubranche in 10 Jahren?

Ich fürchte hierfür gibt es keine kurze Antwort, keinen Einzeiler und keine einfachen Überschriften – auch wenn manche Menschen dies häufig suggerieren. Zuallererst muss sich die Branche der gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein und sich dieser stellen. Alles muss hinterfragt werden, beginnend beim Menschen und den vermeintlichen Komforterwartungen, sowie den damit einher gehenden gestalterischen und technischen Lösungen. Vor allem muss die Verwendung von Rohstoffen stärker in die Betrachtung einfließen; eine Betrachtung, die den gesamten Lebenszyklus – inkl. Rückbau – berücksichtig.

Weitere Informationen zum Zertifikatsprogramm „Climate Positive Engineering“ finden Sie hier.

 

 

Prof. Thomas Auer hat die Professur für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen an der TUM inne (Foto: Silicya Roth).

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